Archiv zum Thema: Identität

Es wird besser werden! Irgendwann.

Karotte Dezember, 2005

Dass ich mein Leben nicht schon beendet, lag nicht an dem Rückhalt, den ich bei meinen Freunden gefunden hatte. Nicht an meiner Familie, die mir Trost und Kraft spendete. Nicht an den guten Erfahrungen, die mein Leben bisher lebenswert gemacht hatten.

Nichts davon war der Grund, denn nichts davon existierte.

Es lag wohl vielmehr daran, dass ich nach wie vor fest daran glaubte, eines Tages die große Liebe zu finden. Ich würde den Jungen meiner Träume treffen, mich in ihn verlieben und er sich in mich, und dann würde endlich alles gut werden.

Denn was für den kleinen dicken Jungen in diesem Moment, in den letzten Minuten des Jahres 2005, so wichtig und so grundlegend war, war nicht etwa die Tatsache, dass er schwul war. Nein, viel schlimmer war: Ich war allein.

November, 2010

Ich bin noch nicht der, der ich sein will.
Ich weiß nämlich noch gar nicht, wer ich eigentlich bin.
Aber ich weiß, dass ich nicht wertlos bin.
Ich bin es wert, geliebt zu werden.

Ich bin noch nicht dort, wo ich hin will.
Ich weiß nämlich noch nicht so genau, wo das eigentlich ist.
Aber ich habe einen Ort gefunden, wo ich es gerne aushalte.
Ein Zwischenhalt auf meinem weiteren Weg.

Ich bin noch nicht mit dem zusammen, mit dem ich zusammen sein will.
Ich weiß nämlich auch gar nicht, ob das überhaupt was wird.
Aber ich weiß, dass ich dich lieben kann.

Es wurde besser.
Es wird noch besser werden.
Mit ihm. In einer anderen Stadt. Irgendwann.

Und bei dir?


http://www.itgetsbetter.org/

Diploration!

In einer neuen Stadt, weitgehend unbekannt:
Treffe ich viele neue, fremde Leute.
Dennoch glaube ich, sie bereits zu kennen.
Intuition, Einbildung. Vielleicht auch Wunschdenken.
Mein Verlangen nach mehr.

Ihr spielt, wir spielen. Wir probieren uns aus.
Versuchung nach dem Verborgenen.
Das Verlangen nach diesem Unbekannten.
Wer führt hier ein Doppelleben?
Ich komme dir noch auf die Schliche!

Du wirst mir deine Geheimnisse anvertrauen! Früher oder später.
So ist das bei mir.
Klar, nicht jeder ist in dieser sein Welt ein Superheld.
Dennoch wird alles getan, um diese Welt zu schützen.
Wenigstens noch einen Tag länger.

Bis ich es nicht mehr ertrug

Stell dir vor, du trägst eine große Last mit dir. Ein Geheimnis, ein Unbehagen, Ängste, Befürchtungen, Altlasten, Sorgen oder Nöte. Von dir und anderen Menschen, die dir am Herzen liegen.

Ich trug sie alle. Tag für Tag auf meinen Schultern, unterm Arm geklemmt – in Kisten verstaut, damit ich den Inhalt nicht sehen musste.

Ich balancierte und versuchte, alles irgendwie im Gleichgewicht zu halten. Doch einige Hürden konnte ich damit nicht meistern – und so brach es alles immer wieder über mir zusammen.

Für die anderen setze ich ein Lächeln auf, ließ mir nichts anmerken. Und wenn doch, machte ich gute Miene zum bösen Spiel. Für mich war das normal, die Unsicherheit im Alltag.

Bis es alles zuviel wurde. Ich nahm meinen Mut zusammen und öffnete eine Kiste. Notgedrungen  zeigte ich sie einer anderen Person. Ich teilte mit ihr deren Inhalt, sie sollte einen Blick in die Kiste werfen.

Die Kisten waren mittlerweile leer.

Die Last ist von mir genommen, die Zuversicht ist zurück. Nein, sie ist zum ersten Mal endlich wieder da.

Ich weiss es, ich freue mich. Ich atme tief durch.

Ich lebe.

Platt und steif

Wir Schwulen lieben uns und fröhnen dieser Lust.
Hinter jeder Ecke lauern Doppeldeutigkeiten:
So hat jeder Lausbub gleich mehrfach Dreck am Stecken.

Die Braven schreien sofort „Igitt, Bääh“ und rümpfen sich die Nase.
So viel Sex, da bliebe die Liebe unter der Decke!

Banane, Nüsse, Eier: für die Harten scheint die Welt aus Phallusobjekten zu bestehen.
Die anderen haben ihre Schokolade lieber zartbitter.

Dein Umfeld, deine Orientierung. Es ist dein Weltbild, deine Wahl.
Wenn deine Welt mit gezupften Augenbrauen noch rosiger strahlt, weil sie so gut deiner Brille schmeicheln…

Und er hört mitten im Schreiben auf. Es bleibt seine versexte Wortwahl.
Denn bis zum Schluss ist er trotzdem nicht gekommen.

Kronleuchter

Ich bin nicht sonderlich helle, aber ich lasse trotzdem jeden Raum erstrahlen, sobald ich ihn betrete. Ich weiß nicht warum, aber die Leute drehen sich zu mir hin. Geblendet von meinem Aussehen fällt niemandem auf, dass ich eigentlich nicht weiß, was ich hier mache.

Will ich dich verführen? Will ich dich für mich gewinnen, dich einwickeln und für immer an mich binden? Sollst du mir verfallen – oder will ich dir einfach nur gefallen?

Suche ich Bestätigung? Du versuchst mich zu küssen, ich ziere mich. Spiele ich mit dir?

Ich kann es dir nicht so recht sagen, also schweige ich – und lächle. Doch mein Gesicht scheint Bände zu sprechen.

Du lässt von mir ab. Blickst du hinter meine Fassade? Das kann nicht sein – denn niemand weiß besser als ich, dass da nichts ich. Ich strahle stärker, doch ohne Erfolg.

Zu spät fällt mir deine Sonnenbrille auf! Du hast mich erwischt, durchschaut, mein Unvermögen entdeckt – und trotzdem hast du versuchst, mir näher zu kommen. Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht? Ich kann dich das leider nicht mehr fragen, denn ich habe schon längst das Weite gesucht.

Checkliste: Outing

Er hat sich bei sich selbst geoutet. Er hat sich so akzeptiert, wie er ist. Er hat es seinen Eltern gesagt, seiner Mutter und seinem Vater. Seinen Freunden, seinen Schulkameraden, seinen Bekannten. Alle sollen es wissen, und alle wissen es jetzt.

Er ist stolz und freut sich. Denn jetzt, jetzt können die süßen Jungs kommen!